
Er hasst sein Dasein als Vampir. Er hasst es, gegen diesen ständigen Blutdurst ankämpfen zu müssen. Dabei ist er es, der auf der Seite der Guten, auf der Seite des Lebens steht.
So fristet Miranel sein zwielichtiges Leben, bis die Vampirjägerin Franziska auftaucht und ihm nachstellt. Dabei erkennt er in ihr eine längst verlorene Liebe und auch ihre Erinnerungen kehren allmählich zurück.
Doch die Zeit läuft davon. Das Ende Edens, so, wie wir es kennen, ist nah. Denn ist der rote Mond erst einmal aufgegangen, gibt es keine Rettung mehr.
Werden die Todfeinde ihre Fehde beilegen? Und welche Rolle spielt der steinerne Engel, der Franziska beinahe in den Wahnsinn treibt?
Taschenbuch: 348 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-1075350764
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Leseprobe
Nur Sekunden später trat Miranel aus dem Schatten des Altenheimes. Abrupt blieb er stehen. Wo war der Friedhof? Vor ihm lag eine ausgedehnte Wiese. Weit und breit keine Mauer, kein Gitter. Der Geruch verwelkter Blumen war verschwunden. Unsicher ging er einen Schritt näher; Unstet wanderte sein Blick umher. Keine Grabsteine, keine Statuen. Keine Statuen! Der Gedanke traf wie ein Blitz und ließ ihn in die Knie gehen. Was hatte dieser egoistische Engel gesagt? Er könnte das Grab nur in dieser einen Nacht besuchen? Danach wäre es für ihn nicht mehr sichtbar – ebenso wie der Friedhof. Miranel spürte, wie seine Lippen bebten und der Körper erzitterte. Ein Schluchzen entrann seiner Kehle. Dann schlug er mit der Faust auf den Erdboden. »Die Nacht ist noch nicht vorbei! Hörst du, Aquariel? Die Nacht ist noch nicht vorbei! Mir bleiben einige Minuten, vielleicht auch nur Sekunden. Trotzdem musst du mir diese gewähren! Hörst du mich?« Seine Stimme schwand und machte einem hilflosen Krächzen Platz. Der silberne Streifen am Himmel wurde breiter und nahm langsam eine goldene Färbung an. »Du kannst mir diese Zeit nicht stehlen! Nicht du!« Er sprang auf, raste über die Wiese, doch niemand antwortete. »Es muss an diesem Ort sein. Hier irgendwo.« Miranel ließ sich auf die Knie nieder, wühlte den Schnee und die Erde zur Seite. »Ich weiß es genau. Ich weiß es!« Abgeschlagen grub er in den gefrorenen Boden. Er spürte keinen Schmerz und keine Kälte. »Ich weiß es! Ich weiß es!« Seine Finger fuhren in eine weiche Masse. Im ersten Moment bemerkte er es nicht und schaufelte diese davon, stoppte Sekunden später. Seine Augen schienen aus den Höhlen quellen zu wollen, als er erkannte, was er da ausgegraben hatte: Es waren die Überreste des Buches! »Ich wusste es«, stöhnte er leise, warf den aufgeweichten Klumpen zur Seite und hob an der Stelle die Erdmassen weiter aus.
Ein Sonnenstrahl berührte sein Handgelenk, als er sich schnaufend zurücksinken ließ. Feine Schweißperlen rannen über die Stirn, die er achtlos davon wischte.
Schier aus dem Nichts kommend, erklang eine glockenhelle Stimme: »Der Morgen ist da. Gehe, Miranel. Gehe.«
Er stand auf, blickte sich um, konnte aber nicht mehr als die unberührte Schneedecke erkennen und schrie: »Du hast mir nichts zu sagen, Aquariel. Du nicht! Du hast mich betrogen! Du, der doch ein Engel sein will!«
Tobend vor Wut rannte er um die Stelle, an der die Begräbnisstätte seiner Familie lag. Er konnte diese weder fühlen noch entdecken und ließ sich so neben dem Buch nieder. »Ich werde gehen. Und ich werde wiederkommen. Bald. Wir werden sehen, wer zuletzt lacht.«
***
»Es ist schon wieder ein Mord geschehen!« Schöne klang empört.
Unverwandt starrte Franziska das Handy in ihrer Hand an. »Und was kann ich dafür?«, flüsterte sie in den Apparat.
»Sie? Aber Frau Maschke, solange Sie nicht dieses Monster sind, können Sie gar nichts dafür. Es tut mir leid, doch nervt mich dieser Irre langsam.«
»Schon gut, ich kümmere mich darum. Wo ist der Tatort?«
»Am Goldenen Reiter. Bitte beeilen Sie sich. Ich weiß nicht, wie lang ich die Polizei noch zurückpfeifen kann.«
Franziska legte auf und schaute resignierend über die Buden, die in wenigen Tagen den weltberühmten Striezelmarkt darstellen sollten. Einmal nur hätte sie sich den Markt gern angesehen und wenn es vor der Eröffnung gewesen wäre. Der süße Duft von gebrannten Mandeln hing schon jetzt schwer in der Luft und abermals verfluchte sie die Tücken der modernen Technik. »Ohne Handy würde es sich um einiges ruhiger leben lassen«, erklärte sie einem mannshohen Weihnachtsengel aus Plastik. Dieser lächelte Franziska mit seinem aufgemalten Mund schweigend an. »Nichtsdestoweniger frage ich mich, wie er das macht. Ich meine mit der Polizei. Es kommt häufiger vor, dass er mir den Rücken frei hält.«
Franziska strauchelte über eines der noch offen liegenden Kabel und fing sich an einer der Holzhütten ab.
»So passen Sie doch auf!«, rief jemand von irgendwoher. »Sie machen ja alles kaputt!«
Franziska konnte den Sprecher nicht ausmachen. Vielleicht war das auch besser für ihn. »Danke für den Hinweis!«, brüllte sie zurück und wünschte sich, dass sie wirklich ein Kabel aus seiner Verankerung gerissen hatte.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte ihr Wagen. »Schöne muss Kontakt zur Polizei haben«, überlegte sie laut, während sie sich todesmutig über die vom Berufsverkehr verstopfte Straße traute. »Am Ende … Nein, Franziska. Das kannst du nicht glauben. Nicht Schöne. Aber auf der anderen Seite weiß er über bestimmte Dinge zu viel. Er wird doch nicht zu ihnen gehören?«
Unschlüssig nahm sie den Strafzettel, der unter den Scheibenwischern eingeklemmt war, zur Kenntnis und legte ihn auf den Beifahrersitz zu den anderen. Allmählich war ein beachtlicher Stapel zusammengekommen. Doch das interessierte sie im Moment nicht. Schöne konnte nicht zu denen gehören. Dazu war er zu nett. Aber das könnte auch nur ein Trick sein.
Franziska schob sich hinter das Steuer, ließ den Motor an und gab Gas.
»Ich muss eine Lösung finden, oder es gibt noch mehr Opfer«, murmelte sie, während sie sich in den Verkehr einreihte. »Sonst dauert es nicht lange, bis sämtliche Vampire auf dieser Erde davon erfahren, dass die Einwohner Dresdens eine leichte Beute sind. Sie werden über uns herfallen wie die Heuschrecken über ein Getreidefeld. Eine Generation nach der Anderen wird in dieser Residenzstadt das Licht, pardon: Den Mondenschein, entdecken. Menschen wären nur noch eine Legende in den Märchenbüchern dieser Untoten. Nur Vampire und ihre Sklaven, wohin man schaut.« Diese stinkenden Guhle … Erschrocken über die eigene Vorstellungskraft schüttelte sie den Kopf und trat auf das Gaspedal. Die Räder drehten einen Moment durch, dann schoss der Wagen nach vorn.
Schon tauchte in der Helligkeit der Scheinwerfer der Neustädter Markt vor ihr auf und damit das Denkmal des Kurfürsten Friedrich August des Ersten von Sachsen.
Achtlos stellte sie das Fahrzeug am Straßenrand ab und lief auf das Reiterstandbild zu. Dunkel hob sich ein Schatten unter der goldenen Inschrift
FRID. AUGUSTUS I. DUX SAXONIAE S.R.I.PRINCEPS ELECTOR ARCHIMARESCHALCUS IDEMQUE REX POLONIAE
ab.
Menschenmengen eilten umher. Der alljährliche Weihnachtsstress hatte von ihnen Besitz ergriffen. Deswegen schien auch kaum jemand von der hilflos daliegenden Person Notiz genommen zu haben. Nur hin und wieder ein Kopfschütteln war alles, was Franziska sehen konnte. Vermutlich dachten diese Egoisten, dass der Junge zu betrunken war, um sich länger auf den Beinen halten zu können. Dass es Winter war und die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt lagen, daran schien kein Mensch zu denken.
Franziska kniete nieder, doch es war zu spät. Niemand konnte ihm mehr helfen – er war tot. Die Tränen der Wut schluckte sie heißer herunter. »Das hätte nicht sein müssen!«
Er war fast noch ein Kind gewesen, spitzbärtig und mit gefärbten, knallroten Haaren. Rasch glitten ihre Finger über seine lederne Kleidung, entdeckten aber nur ein umgedrehtes Pentagramm an seinem Hals. »Habt ihr es noch nicht begriffen? Ein umgedrehtes Pentagramm ist kein Zeichen des Bösen! Es stellt nicht die Umkehrung des Christlichen dar. Im Gegenteil: Es ist ein Petruskreuz, erfunden durch den Apostel Petrus, der bei seiner Kreuzigung kopfüber hängen wollte, da er sich nicht würdig fühlte, wie sein Lehrmeister Jesus zu sterben. Betet das Falsche an und wisst es nicht einmal.« Sie hielt kurz inne, bekreuzigte sich und schüttelte den Kopf. »Und nun verrate mir, woran du gestorben bist. Etwas Übernatürliches?« Franziska drückte den Hemdkraken herunter und entdeckte die Bissspuren an der Hauptschlagader. »Also doch. War ja klar. Irgendwo musste der Herr ja zu Abendessen.« Franziska stand auf und sah noch einmal auf den Jungen herab. »Selbst wirkliche Zeichen des Bösen retten euch nicht vor denen. Egal was ihr tut. Wir sind Menschen und werden immer welche bleiben. Keine wahre Macht der Dunkelheit würde uns in ihren Kreis aufnehmen. Es sei denn, unser Schicksal gibt uns dieses vor.«
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